Pranayama

Pranayama ist ein Wort aus dem Sanskrit. Es besteht aus den zwei Teilen Prana und Yama. Prana bedeutet Energie und Yama bedeutet Kontrolle. Durch Pranayama können wir Kontrolle über die Energieflüsse des Körpers erlangen. Dies geschieht durch Übungen, bei denen der Atem kontrolliert zurückgehalten wird. Es gibt verschiedene Atemübungen, Pranayamas, die aufgrund von Jahreszeit, Außentemperatur und persönlicher Verfassung kombiniert werden können. 

Ultimatives Ziel von Pranayama ist die Erweckung und Kontrolle von Kundalini Shakti. Kundalini ist die Urkraft, die an der Basis der Wirbelsäule ruht. Mitunter erwacht sie spontan und unkontrolliert aufgrund starker Emotionen wie Wut oder Lust und fällt danach in ihren schlafenden Zustand zurück. Der Yogi kann diese Kraft wecken und von der Basis der Wirbelsäule bis zum Scheitel hinaufführen. 

Auf keinen Fall solltest du Pranayama mit vollem Magen üben. Warte nach einer vollen schweren Mahlzeit 5 Stunden, nach einer leichten Mahlzeit 3 Stunden und nach einem kleinen Snack 1 Stunde, bevor du beginnst zu üben.

Wenn wir Pranayama üben, beginnen wir mit Kapalabhati. Kapalabhati ist eine Atemübung, aber zählt eigentlich nicht zu den Pranayamas, sondern zu den Kriyas, den Reinigungsübungen. Wie bei allen Pranayamas ist eine gerade Sitzhaltung mit aufrechter Wirbelsäule, die einen freien Atemfluss erlaubt, wichtige Voraussetzung. Nach einer sehr tiefen Einatmung und einer ganz langsamen und gleichmäßigen Ausatmung, die die Lunge so weit wie möglich entleert, entspannen wir die Atemmuskulatur, so dass etwas Luft einströmen kann. Nun beginnen wir mit Pumpbewegungen, bei denen Luft durch ruckartige Kontraktion den Bauchmuskulatur herausgepresst wird. Die Einatmung erfolgt, indem der Bauch wieder entspannt wird. Du beendest die Pumpbewegungen mit einer vollständigen Ausatmung gefolgt von einer tiefen Einatmung und einer Phase des Atemanhaltens. Während des Anhaltens lenkst du deine Konzentration auf den Punkt zwischen den Augenbrauen und visualisierst dort ein Licht. Du hältst den Atem so lange an, wie es dir ohne große Anstrengung möglich ist und atmest dann langsam und gleichmäßig aus. Anfängern fällt es oft schwer, die Brustatmung ruhig zu halten, während die Bauchdecke die beschriebenen Pumpbewegungen durchführt. Mit Hilfe eines erfahrenen Lehrers lässt es sich jedoch nach wenigen Übungseinheiten erlernen. Obwohl Kapalabhati zu den Reinigungsübungen zählt, kann es auch Kundalini in Bewegung versetzen.

Das wichtigste und bekannteste Pranayama heisst Anuloma Viloma, Nadi Shodana oder auf deutsch Wechselatmung. Die sehr langsame und kontrollierte Atmung reinigt die Energiebahnen des Körpers und hebt das Energieniveau. Der Übende kam dies nach einiger Zeit in seinem Körper wahrnehmen. Um zu praktizieren nimmst du wiederum eine gerade Sitzhaltung mit aufrechter Wirbelsäule ein, die einen freien Atemfluss erlaubt. Mit der rechten Hand formst du das Vishnu Mudra. Dazu knickst du Zeige- und Mittelfinger der geöffneten rechten Hand ab. Ring- und kleinen Finger verwendest du, um das linke Nasenloch zuzuhalten und den Daumen verwendest du, um das rechte Nasenloch zuzuhalten. Du beginnst, indem du das rechte Nasenloch zuhältst und durch das linke Nasenloch ausatmest, soweit du kannst. Während du weiter das rechte Nasenloch zuhältst, atmest du nun tief links ein. Am Ende der Einatmung blockierst du beide Nasenlöcher und hältst die Luft an. Nun blockierst du das linke Nasenloch und atmest rechts doppelt so lange aus, wie du vorher links eingeatmet hast. Damit ist die erste Hälfte einer Runde Anuloma Viloma beendet. Die zweite Hälfte beginnst du, indem du rechts tief eingeatmest, während du weiterhin das linke Nasenloch zuhältst. Nun blockierst du wieder beide Nasenlöcher und hältst die Luft an und beendest die Runde, indem du links doppelt so lange ausatmest, wie du rechts eingeatmet hast. Damit ist eine Runde Anuloma Viloma beendet. Die nächste Runde beginnst du, indem du wie zu Beginn wieder links tief eingeatmest, während du das rechte Nasenloch zuhältst. 

Während du die beschriebene wechselseitige Atmung durchführt, zählst du innerlich langsam mit, indem du lautlos zu dir selbst sagt: "Om 1, Om 2, Om 3, Om 4, ... Als Anfänger zählst du bei der Einatmung bis 4, beim Anhalten bis 4 und beim Ausatmen bis 8. Wenn du dich hierbei so sicher fühlst, dass du den Rhythmus 3 Runden lang halten kannst, beginnst du mit der nächsten Stufe, bei der du bei der Einatmung weiterhin bis 4 zählst, beim Anhalten aber bis 8 und beim Ausatmen ebenfalls bis 8. Wenn du die zweite Stufe soweit gemeistert hast, dass du den Rhythmus 3 Runden lang halten kannst, folgt die höchste Stufe, bei der du bei der Einatmung bis 4 zählst, beim Anhalten bis 16 und beim Ausatmen bis 8. J nach deinem körperlichen Zustand kannst du die höchste Stufe innerhalb weniger Tage oder Wochen erreichen. Nun verlangsamst du die Atmung weiter, indem du immer langsamer zählst. Du kannst den Rhythmus dabei Schritt für Schritt vom hier beschriebenen 4-16-8 steigern auf 5-20-10 und 6-24-12 bis hin zu 8-32-16. Sehr langsam 4-16-8 zu zählen kommt natürlich auf dasselbe heraus, wie sehr schnell 8-32-16 zu zählen und unterscheidet sich nicht in der Wirkung. Steigere immer nur soweit, wie du den Rhythmus halten kannst, ohne in starke Atemnot zu geraten. Es ist ähnlich wie beim Üben der Asanas: Du dehnst so weit, bis du deine Grenze erreichst, so dass du diese Grenze ganz langsam verschiebst, aber du tust deinem Körper keine Gewalt an. Außerdem solltest du auch die Anzahl der Runden steigern. Von anfangs 3 Runden kannst du auf 5, 10 oder sogar täglich 20 Runden steigern. Du wirst aber merken, dass so viele Runden nicht nur äußerst anstrengend sind, sondern auch richtig lange dauern. Eine schön langsam und tief geatmete Runde dauert über 2 Minuten, 20 Runden dauern dann eine dreiviertel Stunde! 

Wer so tief ins Pranayama einsteigt, dass er täglich übt und die Anzahl der Runden steigert, sollte auch seine Ernährung anpassen. Du solltest dann weder Fleisch noch Fisch essen, schwere fette Speisen wie Käse reduzieren und stattdessen im wesentlichen Gemüse, Reis, Dal (Linsen) und Nüsse zu dir nehmen. Drogen jeder Art, also auch Kaffee, Tee und natürlich Nikotin und Alkohol sind absolut tabu, während du so tief in das Energiesystem deines Körpers eingreifst. Ein oder zweimal pro Woche einige Runden Wechselatmung machen dabei noch keine komplette Umstellung der Ernährung notwendig. Erst wenn du den Wunsch verspürst, täglich zu üben und die Anzahl der Runden zu steigern, weil du merkst, wie Kundalini erwacht und du diese Erfahrung vertiefen möchtest, wird es Zeit, deinen Lebensstil darauf anzupassen.

Wenn beim Üben Schwindel, Übelkeit oder Kopfschmerzen auftreten, hast du es übertrieben und dein Energiesystem überladen. Pausiere sofort und starte nach einigen Tagen eine oder mehrere Stufen niedriger neu. Wenn du bereits krank bist und Fieber, Kopfschmerzen oder Übelkeit hast, musst du solange pausieren, bis du wieder gesund bist.  

Die Erhöhung des Energieniveaus deines Körpers kann außerdem folgende andere Nebenwirkungen haben, die aber unbedenklich sind und dir zeigen, dass du auf dem richtigen Weg bist:

Es kann sein, dass du während des Übens spürst, dass dein Darm durch den erhöhten Energiefluss in Bewegung kommt und du dringend die Toilette aufsuchen musst. Unterbrich dann die Übung, entleere dich und fahre danach fort.  

Wenn du Hitze spürst und ins Schwitzen kommst, lass den Schweiß auf deiner Haut und verreibe ihn nach Abschluss der Übung. Pranayamaschweiß entsteht durch die Reinigung der feinen Energiebahnen des Körpers, die Nadis genannt werden. Er ist gesund und hat keinen unangenehmen Geruch. Hier liegt der tiefere Grund dafür, dass man vor und nicht nach einer Yogastunde duschen sollte.

Ein weiteres Symptom der erwachenden Kraft ist ein Zittern, das vom unteren Ende der Wirbelsäule durch den Körper geht. Es ist ein Zeichen, dass die Kundalinikraft erwacht, aber nicht in den Energiekanal Shushumna Nadi, der im Inneren der Wirbelsäule verläuft, eindringen kann. Der Eingang von Shushumna Nadi an der  Basis der Wirbelsäule ist blockiert und wird durch intensives Pranayama durchbrochen. Die Geschichte von Ganesh, der den Eingang zum Bad von Parvati blockiert und von Shiva getötet wird ist ein Sinnbild dieses Vorgangs. Der Yogi soll versuchen, dieses Zittern zu kontrollieren, indem er einen stabilen Sitz einnimmt. Am besten geeignet ist hierzu der Lotussitz Padmasan. Wer Padmasan nicht einnehmen kann, sollte zunächst seine Asanapraxis vertiefen, ehe er so intensives Pranayama ausführt. Idealerweise entwickelt sich beides parallel: Ein ganz leichtes Zittern lässt sich mit Hilfe von Siddhasan kontrollieren und zusammen mit immer längeren Pranayamasitzungen steigert sich auch die Dehnbarkeit, so dass Padmasan möglich wird. 

Durch die stark reduzierte Atemgeschwindigkeit während des Übens wirkt Anuloma Viloma wie Hochgebirgstraining: Der reduzierte CO2 Abbau und die reduzierte Sauerstoffaufnahme führen zu einer sehr tiefen Atmung, was den Lungen und den Brustkorb dehnt und die Atemmuskulatur trainiert, während gleichzeitig zur Kompensation des Mangels die Produktion von roten Blutkörperchen angeregt wird. Der stark reduzierte Atemrhythmus ist kombiniert mit der Lenkung der Atmung durch die neuen Nasenlöcher. Der Yogi lernt hierdurch, der Fluss des Prana in den Energiebahnen, den Nadis, zunächst zu spüren und dann auch zu lenken. 

Wenn Kundalini anfängt, sich zu bewegen, kontrollieren wir ihre Bewegung durch die Anwendung der Bandhas. Bandhas sind Bindungen oder Verschlüsse und werden während der Pranayamaphasen des Luftanhaltens angewendet. Das Luftanhalten ist der wichtigste Teil des Pranayama und wird Kumbhaka genannt. Mula Bandha wird ausgeübt durch Kontraktion der Beckenbodenmuskulatur und ist der Kontraktion des Schließmuskels sehr ähnlich. Es dient dazu, die erwachende Kraft festzuhalten und aufwärts zu treiben.  Uddiyana Bandha ist das kraftvolle Einziehen des Bauches zur weiteren Verstärkung des nach oben gerichteten Flusses von Prana. Bei Jalandhara Bandha wird der Nacken gedehnt, so dass die Biegung der Wirbelsäule im Bereich des Halses verschwindet und Prana leichter nach oben fließen kann. Mit fortschreitender Erfahrung im Pranayama wird die Wahrnehmung des aufsteigenden Pranas stärker und die Anwendung der 3 Bandhas kann leichter auf die Optimierung des Pranaflusses abgestimmt werden.

Wenn Kundalini erwacht ist und der Yogi die Bewegung spürt, kann er fortgeschrittene Pranayamas üben, die die Blockade an der Basis der Wirbelsäule durchbrechen und Kundalini bis zum Scheitelchakra treiben. Die fortgeschrittenen Pranayamas sollten von einem Lehrer persönlich unterrichtet werden und werden daher hier nicht beschrieben. Es gibt außerdem noch Pranayamas mit anderen Zielsetzungen wie zum Beispiel der Kühlung des Körpers, die aber zu Ziel des Yoga weniger beitragen und daher hier ebenfalls nicht behandelt werden. 

Kapalabhati in verschiedenen Stadien der Kundalinikontrolle

Anuloma Viloma in verschiedenen Stadien der Kundalinikontrolle